Beschleunigtes Vergessen eines traumatischen Ereignisses bei gesunden Männern und Frauen nach einer einmaligen Einnahme von Hydrocortison
25.10.2022 Die Tablettenform des Stresshormons Cortisol könnte den Prozess des Vergessens intrusiver Erinnerungen beschleunigen, wenn sie unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis verabreicht wird laut einer neuen Studie des University College London.
Schnelleres Vergessen durch Hydrocortison
Die in der Zeitschrift Translational Psychiatry veröffentlichte Studie ergab, dass Hydrocortison (30 mg) – ein entzündungshemmendes Medikament, das zur Behandlung von Krankheiten wie Arthritis eingesetzt wird – die Emotionen dämpft, die schmerzhaften Erinnerungen zugrunde liegen, wie sie bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) auftreten.
Das Team testete das Medikament an 120 gesunden Teilnehmern. 60 erhielten Hydrocortison und 60 ein Placebo-Medikament.
Sie fanden heraus, dass die Probanden in der Hydrocortison-Gruppe einige Minuten nach der Vorführung mehrerer sehr erschütternder Videos das Ereignis schneller zu „vergessen“ schien als die Gruppe, die ein Placebopräparat nach dem Schauen der Videos erhalten hatte.
Unterschiedliche Ergebnisse bei Frauen und Männern
Die Forscher fanden auch heraus, dass Männer und Frauen je nach dem Gehalt an Sexualhormonen in ihrem Körper unterschiedlich auf das Medikament reagierten. So schienen Männer mit einem hohen Östrogenspiegel eine Woche lang nach dem Ansehen des Videos die wenigsten belastenden Erinnerungen zu haben.
Bei Frauen zeigte sich jedoch der gegenteilige Effekt, und ein hoher Östrogenspiegel schien sie anfälliger für unfreiwillige schlimme Erinnerungen zu machen, wenn sie mit Hydrokortison behandelt wurden.
Die Hauptautorin Vanessa Hennessy sagt: „Anhaltende belastende, unwillkürliche oder ‚intrusive‘ Erinnerungen sind ein Hauptmerkmal der PTBS. Im Gegensatz zu anderen psychischen Störungen kann der Ausbruch einer PTBS durch ein einzelnes Trauma zuverlässig auf ein bestimmtes, oft lebensbedrohliches Ereignis zurückgeführt werden, das lang anhaltende intrusive Erinnerungen hervorruft.
„Die hier berichteten Ergebnisse bauen auf früheren Studien auf. Diese zielten auf Emotionen ab, die der unwillkürlichen Erinnerung zugrundeliegen, mit dem Ziel, die Häufigkeit und die Intensität der Erinnerungen zu verringern ohne dass die Fähigkeit, die Erinnerung willentlich abzurufen, verloren geht.“
Hydrocortison hat sich bisher nur dann als wirksam erwiesen, wenn es Traumapatienten in den Stunden unmittelbar nach dem Trauma oder vor dem Schlaf verabreicht wird, wenn sich die Erinnerung konsolidiert. Die Forscher hoffen jedoch, dass ähnliche Behandlungen mit einem zusätzlichen Verhaltenselement den natürlichen Vergessensprozess beschleunigen und langfristige psychische Belastungen in einem längeren Zeitrahmen begrenzen könnten.
Einschränkungen der Studie: Obwohl die Verwendung traumatischer Videos ein ethisch vertretbarer Weg ist, um intrusive Gedanken bei gesunden Menschen hervorzurufen, besteht die Sorge, dass die daraus resultierenden Erinnerungen nicht mit denen übereinstimmen, die nach realen Traumata auftreten.
© arznei-news.de – Quellenangabe: Translational Psychiatry (2022). DOI: 10.1038/s41398-022-02126-2