Die antidepressive Wirkung von Ketamin ist an das Opioid-System im Gehirn gekoppelt
29.08.2018 Eine im Fachblatt American Journal of Psychiatry publizierte Studie zeigt, dass Ketamin zumindest teilweise als Antidepressivum wirkt, indem es das Opioid-System des Gehirns aktiviert (s.a. Ketamin und das Gehirn).
Damit widerlegen die Befunde, dass die antidepressive Wirkung des Medikaments ausschließlich auf seine Wirkung auf das Glutamat-System zurückzuführen ist. Diese Annahmen führten zu der weit verbreiteten Verwendung von Ketamin zur Behandlung von Depressionen und spornten die Entwicklung von Glutamat-blockenden Medikamenten zur Verwendung als Antidepressiva an.
Wechselwirkung zwischen Depression, Schmerz und Opioidabhängigkeit
Der neue Befund betont auch die Wechselwirkung zwischen Depression, Schmerz und Opioidabhängigkeit und bietet Klinikern die Möglichkeit, Behandlungsansätze für drei der heute wichtigsten Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit neu zu formulieren, schreiben die Hirnforscher.
In die Doppelblind-Studie wurden Erwachsene mit behandlungsresistenter Depression aufgenommen, was bedeutet, dass sich ihr Zustand nach mehreren Behandlungen nicht verbessert hatte.
Zwölf Teilnehmer erhielten zweimal – nach einer Naltrexon-Gabe (ein Opioid-Rezeptorblocker) oder nach Placebo – eine Ketamin-Infusion. Die Forscher fanden heraus, dass Ketamin die depressiven Symptome bei mehr als der Hälfte der Teilnehmer drei Tage lang um etwa 90 Prozent reduzierte, wenn es mit einem Placebo verabreicht wurde, aber praktisch keinen Einfluss auf die depressiven Symptome hatte, wenn Naltrexon vorausging.
Wirkung auf verschiedene Rezeptortypen im Gehirn
Obgleich einige kleine Studien gezeigt haben, dass Ketamin schnelle, obgleich vorübergehende, antidepressive Effekte hatte, sagen Alan Schatzberg und Carolyn Rodriguez von der Stanford Universität, wollten die Forscher verstehen, wie Ketamin funktioniert. Sie vermuteten, dass Effekte des Ketamins mit dem Opioidsystem des Gehirns verknüpft sein könnten, als Rodriguez einen Report über die Fähigkeit des Ketamins veröffentlichte, Symptome von Zwangsstörungen verringern zu können, wobei das Opioid Morphin eingesetzt wurde.
Die vorherrschende Hypothese für die antidepressive Wirkung von Ketamin war, dass das Medikament einen Rezeptor für Glutamat blockiert, einen erregenden Neurotransmitter im Gehirn, der bei Gedächtnis und Lernen involviert ist.
Aber Ketamins Mechanismus ist kompliziert, da es auf viele verschiedene Rezeptortypen jenseits der Glutamatrezeptoren wirkt, und es wirkt in drei verschiedenen Phasen – schnelle Effekte, nachhaltige Effekte und Rückkehr zur Grundlinie, sagte Rodriguez.
Schatzberg stellte fest, dass kein anderer Glutamat-Rezeptorblocker eine antidepressive Wirkung wie Ketamin hat und dass Versuche, ähnliche Medikamente zu entwickeln, weitgehend gescheitert sind.
Das Glutamat-System
Die Forscher sagten, dass die Befunde der neuen Studie erklären können, warum Ketamin so schnell als Antidepressivum wirkt: Es aktiviert die Opioidrezeptoren des Gehirns während der ersten Phase der Aktivität. Das Glutamatsystem kann für die unterstützenden Effekte verantwortlich sein, nachdem Ketamin umgewandelt wird, sagten sie.
Die Autoren schreiben, dass die Aufdeckung der Rolle des Opioidsystems in der antidepressiven Wirkung von Ketamin entscheidend für die Entwicklung neuer Antidepressiva ist. Z.B. können Glutamatrezeptorblocker möglicherweise nicht schnelle antidepressive Effekte haben, wenn sie nicht auch das Opioidsystem miteinbeziehen.
Einsatz von Opioiden
Die Psychiatrie setzte vor 50 oder 60 Jahren Opioide, Barbiturate und hohe Dosen von Stimulanzien zur Behandlung von Depressionen ein, sagte Schatzberg.
Die Risiken, die mit der Einnahme von Medikamenten verbunden sind, um Depressionen zu behandeln – auch in niedrigen Dosen – sind richtig zu untersuchen. Es ist nicht auf Ketamin beschränkt; andere Antidepressiva, die auf das Opioid-System abzielen, sind ebenfalls in der Entwicklung.
Während ein Standardopioid wie Morphin zuerst einen antidepressiven Effekt hat, fördert es Depressionen nach wiederholtem Gebrauch, sagte Williams. Depressive Menschen nehmen etwa 2,4 Mal so viele Opioide sofort nach schmerzhaften Operationen als Nicht-Depressive, sagte er. Es gibt tatsächlich eine Verbindung zwischen Depression, Schmerz und Opioid-Nutzung, schließen die Wissenschaftler.
© arznei-news.de – Quellenangabe: American Journal of Psychiatry – doi/10.1176/appi.ajp.2018.18020138
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