Antipsychotika in der Behandlung von Demenz verursachen mehr unerwünschte Wirkungen als bisher angenommen
19.04.2024 Die Einnahme von Antipsychotika ist bei Menschen mit Demenz mit einem erhöhten Risiko für eine Reihe schwerwiegender unerwünschter Wirkungen verbunden, darunter Schlaganfall, Blutgerinnsel, Herzinfarkt, Herzversagen, Knochenbrüche, Lungenentzündung und akute Nierenschäden.
Diese Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung von Antipsychotika bei Menschen mit Demenz ein wesentlich breiteres Spektrum an Schäden verursacht als bisher in behördlichen Warnungen angegeben, wobei die Risiken kurz nach Beginn der Behandlung am höchsten sind, was die Notwendigkeit erhöhter Vorsicht in den frühen Phasen der Behandlung unterstreicht.
Trotz der Sicherheitsbedenken werden Antipsychotika nach wie vor häufig zur Behandlung von verhaltensbedingten und psychologischen Symptomen der Demenz wie Apathie, Depression, Aggression, Angstzuständen, Reizbarkeit, Delirium und Psychosen verschrieben.
Frühere behördliche Warnungen vor der Verschreibung von Antipsychotika zur Behandlung dieser Symptome stützen sich auf Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Tod, aber die Belege für andere unerwünschte Wirkungen bei Menschen mit Demenz sind weniger schlüssig.
Die Studie
Um diese Ungewissheit zu beseitigen, untersuchten die Forscher die Risiken mehrerer unerwünschter Wirkungen, die möglicherweise mit der Einnahme von Antipsychotika bei Menschen mit Demenz in Verbindung gebracht werden. Dabei ging es um Schlaganfall, schwere Blutgerinnsel (venöse Thromboembolien), Herzinfarkt, Herzversagen, Herzrhythmusstörungen (ventrikuläre Arrhythmie), Knochenbrüche, Lungenentzündung und akute Nierenschäden.
Anhand von verknüpften Primärversorgungs-, Krankenhaus- und Mortalitätsdaten in England identifizierten sie 173.910 Personen (63 % Frauen), bei denen zwischen Januar 1998 und Mai 2018 im Durchschnittsalter von 82 Jahren eine Demenz diagnostiziert wurde und die im Jahr vor ihrer Diagnose kein Antipsychotikum erhalten hatten.
Jeder der 35.339 Patienten, denen am oder nach dem Datum ihrer Demenzdiagnose ein Antipsychotikum verschrieben wurde, wurde dann mit bis zu 15 zufällig ausgewählten Patienten abgeglichen, die keine Antipsychotika verwendet hatten. Patienten mit einer Vorgeschichte des untersuchten Ergebnisses vor ihrer Diagnose wurden von der Analyse dieses Ergebnisses ausgeschlossen.
Die am häufigsten verschriebenen Antipsychotika waren Risperidon, Quetiapin, Haloperidol und Olanzapin, die zusammen fast 80 % aller Verschreibungen ausmachten. Potenziell einflussreiche Faktoren wie persönliche Patientenmerkmale, Lebensstil, Vorerkrankungen und verschriebene Medikamente wurden ebenfalls berücksichtigt.
Erhöhte Risiken
Im Vergleich zum Nichtgebrauch war die Einnahme von Antipsychotika mit einem erhöhten Risiko für alle Endpunkte verbunden, mit Ausnahme von Herzrhythmusstörungen. So lag beispielsweise in den ersten drei Monaten der Behandlung die Rate der Lungenentzündungen bei Antipsychotika-Anwendern bei 4,48 % gegenüber 1,49 % bei Nicht-Anwendern. Nach einem Jahr stieg diese Rate auf 10,41 % bei den Antipsychotika-Anwendern gegenüber 5,63 % bei den Nicht-Anwendern.
Auch das Risiko für akute Nierenschäden (1,7-fach erhöhtes Risiko) sowie für Schlaganfälle und venöse Thromboembolien (1,6-fach erhöhtes Risiko) war bei Anwendern von Antipsychotika höher als bei Nichtanwendern.
Bei fast allen Endpunkten war das Risiko in der ersten Woche der Behandlung mit Antipsychotika am höchsten, insbesondere für Lungenentzündung.
Die Forscher schätzen, dass in den ersten sechs Monaten der Behandlung die Einnahme von Antipsychotika mit einem zusätzlichen Fall von Lungenentzündung für alle 9 behandelten Patienten und einem zusätzlichen Herzinfarkt für alle 167 behandelten Patienten verbunden ist. Nach zwei Jahren dürfte ein zusätzlicher Fall von Lungenentzündung bei je 15 behandelten Patienten und ein zusätzlicher Herzinfarkt bei je 254 behandelten Patienten auftreten.
Da es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, können keine eindeutigen Schlussfolgerungen über Ursache und Wirkung gezogen werden, und die Forscher wiesen darauf hin, dass es bei der Einnahme von Antipsychotika zu Fehlklassifizierungen gekommen sein könnte. Und obwohl sie eine Reihe von Faktoren bereinigt haben, können sie nicht ausschließen, dass andere nicht erfasste Variablen ihre Ergebnisse beeinflusst haben könnten.
Es handelte sich jedoch um eine umfangreiche Analyse auf der Grundlage zuverlässiger Gesundheitsdaten, die ein breites Spektrum an unerwünschten Ereignissen untersuchte und sowohl relative als auch absolute Risiken über mehrere Zeiträume berichtete.
Die Forscher sagen, dass Antipsychotika mit einem wesentlich breiteren Spektrum an schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen in Verbindung gebracht werden, als dies bisher in den Warnhinweisen der Aufsichtsbehörden hervorgehoben wurde, wobei die höchsten Risiken kurz nach Beginn der Behandlung auftreten.
Jeder potenzielle Nutzen einer antipsychotischen Behandlung muss gegen das Risiko schwerwiegender Risiken abgewogen werden, und die Behandlungspläne sollten regelmäßig überprüft werden, fügen sie hinzu.
© arznei-news.de – Quellenangabe: The BMJ (2024). DOI: 10.1136/bmj-2023-076268; BMJ (2024). DOI: 10.1136/bmj.q819 , doi.org/10.1136/bmj.q819
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