Bioakkumulation: Häufig eingesetzte Medikamente reichern sich in den Darmbakterien an, was die Wirksamkeit der Medikamente verringern und das Mikrobiom des Darms verändern kann
09.09.2021 Einer neuen Studie zufolge können sich gängige Medikamente in Darmbakterien anreichern, was die bakterielle Funktionen verändert und möglicherweise die Wirksamkeit der Medikamente verringert.
Diese Wechselwirkungen – die bei einer Reihe von Medikamenten wie Depressions-, Diabetes- und Asthmamedikamenten auftreten – könnten Forschern helfen, individuelle Unterschiede in der Wirksamkeit und den Nebenwirkungen von Medikamenten besser zu verstehen, so die in Nature veröffentlichte Studie.
Es ist bekannt, dass Bakterien einige Medikamente chemisch verändern können, ein Prozess, der als Biotransformation bekannt ist. In dieser von Forschern der Toxikologie-Einheit des Medical Research Council (MRC) an der Universität Cambridge und des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) in Deutschland geleiteten Studie wird zum ersten Mal gezeigt, dass bestimmte Arten von Darmbakterien Arzneimittel akkumulieren, wobei diese die Arten von Bakterien (Darmflora) und deren Aktivität verändern.
Wirksamkeit des Medikaments
Dies könnte die Wirksamkeit des Medikaments verändern, sowohl direkt, da die Anreicherung die Verfügbarkeit des Medikaments für den Körper verringern könnte, als auch indirekt, da eine veränderte Bakterienfunktion und -zusammensetzung mit Nebenwirkungen verbunden sein könnte, schreiben die Studienautoren.
Der menschliche Darm enthält natürlicherweise Gemeinschaften von Hunderten verschiedener Bakterienarten, die für Gesundheit und Krankheit von Bedeutung sind, das sogenannte Darmmikrobiom bzw. die Darmflora. Die Zusammensetzung der Bakterienarten ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, und es hat sich bereits gezeigt, dass sie mit einer Reihe von Krankheiten in Verbindung steht, darunter Fettleibigkeit, Immunreaktionen und psychische Gesundheit.
Die Studie
In dieser Studie züchteten die Forscher 25 gängige Darmbakterien und untersuchten, wie sie mit 15 oral eingenommenen Medikamenten interagieren. Die Medikamente wurden so ausgewählt, dass sie eine Reihe verschiedener gängiger Arzneimittel repräsentieren, darunter auch Antidepressiva, von denen bekannt ist, dass sie sich auf Menschen unterschiedlich auswirken und Nebenwirkungen wie Darmprobleme und Gewichtszunahme verursachen können.
Die Forscher testeten, wie jedes der 15 Medikamente mit den ausgewählten Bakterienstämmen interagierte – insgesamt 375 Bakterien-Arzneimittel-Tests.
Sie fanden 70 Wechselwirkungen zwischen den Bakterien und den untersuchten Arzneimitteln, von denen 29 bisher noch nicht beschrieben worden waren.
Während frühere Forschungen gezeigt haben, dass Bakterien Medikamente chemisch verändern können, stellten die Wissenschaftler bei der weiteren Untersuchung dieser Wechselwirkungen fest, dass sich bei 17 der 29 neuen Wechselwirkungen das Medikament innerhalb der Bakterien anreicherte, ohne verändert zu werden.
Einige Beispiele für die Wechselwirkungen
Beispiele für Arzneimittel, die sich in Bakterien anreichern, sind das Antidepressivum Duloxetin und das Antidiabetikum Rosiglitazon. Bei einigen Arzneimitteln wie Montelukast (ein Asthmamittel) und Roflumilast (gegen chronisch obstruktive Lungenerkrankung) traten beide Veränderungen in verschiedenen Bakterien auf – sie wurden von einigen Bakterienarten akkumuliert und von anderen verändert.
Sie fanden auch heraus, dass die Bioakkumulation von Medikamenten den Stoffwechsel der akkumulierenden Bakterien verändert. So heftete sich beispielsweise das Antidepressivum Duloxetin an mehrere Stoffwechselenzyme in den Bakterien und veränderte deren ausgeschiedene Stoffwechselprodukte.
Die Forscher züchteten eine kleine Gemeinschaft aus mehreren Bakterienarten zusammen und stellten fest, dass das Antidepressivum Duloxetin das Gleichgewicht der Bakterienarten dramatisch veränderte. Das Medikament veränderte die Moleküle, die von den arzneimittelanreichernden Bakterien produziert wurden und von denen sich andere Bakterien ernährten, so dass die konsumierenden Bakterien viel stärker wuchsen und die Zusammensetzung der Gemeinschaft aus dem Gleichgewicht brachten.
Die Forscher testeten die Auswirkungen weiter mit C. elegans, einem Fadenwurm, der häufig zur Untersuchung von Darmbakterien verwendet wird. Sie untersuchten Duloxetin, das sich nachweislich in bestimmten Bakterien anreichert, in anderen jedoch nicht. Bei Würmern, die mit den Bakterienarten gezüchtet wurden, die nachweislich das Medikament akkumulieren, veränderte sich das Verhalten der Würmer, nachdem sie Duloxetin ausgesetzt waren, im Vergleich zu Würmern, die mit Bakterien gezüchtet wurden, die kein Duloxetin akkumulierten.
Die Forscher weisen darauf hin, dass sich die Ergebnisse der Studie nur auf im Labor gezüchtete Bakterien beziehen und dass weitere Forschung erforderlich ist, um zu verstehen, wie sich die Bioakkumulation von Medikamenten durch Darmbakterien im menschlichen Körper manifestiert.
© arznei-news.de – Quellenangabe: Nature (2021). www.nature.com/articles/s41586-021-03891-8